Eine Woche auf einer abgelegenen Hütte in einem einsamen Hochtal, umgeben von schroffen Kalkfelswänden, das nächstgelegene Handynetz etwa eine Gehstunde entfernt, zumindest soweit ich das austesten konnte. Der Aufenthalt im Gesäuse im Rahmen des Medienstipendiums der Nationalparks Austria als Fotograf, klang für mich nach DER Gelegenheit einerseits aus meiner Alltagswelt herauszukommen und mich andererseits auch weiterzuentwickeln. Denn ich merke: je mehr ich als Fotograf arbeite, desto weniger beschäftige ich mich bewusst mit Fotografie. Klingt vielleicht absurd, aber während eines Jobs herrscht meist Zeitdruck und in der Nachbearbeitung ebenso. Da gilt es also Skills abzurufen. Für Experimente ist meist wenig Platz. Aber ich möchte auch besser werden, Neues probieren, meinen Stil weiterentwickeln. Lange verfolgte mich ja sogar das Gefühl, ich hätte vielleicht gar keinen Stil oder den falschen (einen schlechten?) Wenn ich Arbeiten von Kollegen in Magazinen sah, dachte ich oft reflexartig: Sch…, das sieht ganz anders aus als das was ich mache – gefolgt von einem drängenden Gefühl meine Bilder in Zukunft auch so aussehen lassen zu müssen. Mein 17-Jähriger Neffe meinte letztens: „aber ist doch cool wauma an eigenen Stil hod”. Wenig später schrieb eine Neukundin: “Wir brauchen definitiv mehr von dir – deine Arbeit gefällt mir ehrlich gesagt viel besser, als das was wir bisher hatten.” Da wurde mir wieder bewusst: Ich kann doch Stile von Kollegen bewundern ohne sofort meinen eigenen in Frage stellen zu müssen. Ich kann meinen Stil entwickeln, aber ich muss ihn nicht erst suchen, ich habe bereits einen.

Aber zurück ins Gesäuse wo gerade der Regen seit Stunden in den umliegenden Wald prasselt und mit ihm scheinbar auch Gedanken in meinen Kopf und ich merke: Ich bin noch nicht richtig angekommen hier. Meine Kollegin Ariane scheint das Problem nicht zu haben. Sie sitzt seit dem Morgen vor unserer Hütte und liest und schreibt. Mag auch sein, dass sie der Dauerregen weniger Druck erzeugt als bei einem Fotografen, der naturgemäß auf „schönes“ Wetter wartet und sofort am liebsten auf alle umliegenden Gipfel laufen würde. Aber der Regen der ersten Tage entfaltete bald auch seine therapeutische Wirkung: die rasenden Gedanken beruhigen sich und das Gefühl etwas tun zu müssen aber nicht zu können, weicht einer Zufriedenheit darüber einmal einfach nur sein zu dürfen. Nach etwa 48 Stunden hatte das Gesäuse mich quasi runtergeholt, während ich hier eigentlich ziemlich weit oben bin. An diesem zweiten Tag hatte Ariane ihre Arbeitsstätte überhaupt ins Bett verlagert. Ich bleibe vor der Hütte, starre in den Regen und sehe den Wolken zu, wie sie Gipfel, Felswände und Kare auftauchen und wieder verschwinden ließen. Ab und zu ein Schuss mit dem 70-300mm-Objektiv, dazwischen lange Pausen, sitzen, schauen.

Natürlich haben mit zwei Tage Regen nicht augenblicklich von allem Stress der Welt geheilt, aber sieben Mal 24 Stunden zur freien Verfügung zu haben ist an sich schon mal entschleunigend. Das Tempo kam dann zurück, als sich die Wolken lichteten und ich meinte schnellstmöglich auf die Berge klettern zu müssen. Das heißt, ich wartete nicht mal so richtig darauf, dass es sich lichtete. Meine Wanderung auf den Hüpflinger Hals war eine nasse, neblige Angelegenheit die meine Bergschuhe für den Rest der Woche ruinierte (sie wurden trotz Intensivbehandlung) über dem Kachelofen einfach nicht mehr richtig trocken) – auch weil ich der Schitourenroute und Wildsteigen folgte. Eine Schnapsidee. Ebenso wie nur zwei Flaschen Wein für eine ganze Woche auf einer einsamen Hütte mitzunehmen. Schwerer Planungsfehler.

Andi Hollinger vom Nationalpark hatte uns im Vorfeld bereits gewarnt, dass da oben etwas passieren wird mit uns. Er hatte recht. Die Mäuse und Siebenschläfer und was da sonst noch am Dachboden der Hütte herumgelaufen ist, führten zu inspirierenden Nachtstunden. Allerdings muss ich rückblickend sagen, ich denke die wirklichen Veränderungen hätten sich dann wohl erst in einer zweiten, dritten oder vierten Woche eingestellt. Eine Woche ist gerade so viel um zu spüren, dass die Einsamkeit etwas anregt, etwas in Bewegung setzt. Bevor die Veränderung aber eintritt, ist man wieder zurück im Alltag und bekommt quasi die Watschn.

Ich hatte schließlich auch in der verregneten ersten Woche sehr schöne Foto-Moment, als ich gemütlich durch den nebligen Wald schlenderte und einfach nach Details und spannenden Blickwinkeln suchte. Für solche Entdeckungstouren im Kleinen, nicht augenscheinlich Spannenden und Schönen, möchte ich mein Auge auf jeden Fall noch weiter schulen.

Die zweite Woche des Stipendiums, diesmal im Haindlkar, war ein deutlicher Kontrast. Ich hatte Mitte September Traumwetter, war nun allein (bis auf die erste Nacht mit einem guten Freund) und hatte sowohl selbst Bier mit dabei, als auch die Alpenvereinshütte in Reichweite. Nicht dass ich mich hier als Verehrer des Alkohols outen will, aber ein abendliches Bier vor der Kulisse der Hochtorgruppe ist kaum zu toppen. Das lockert nicht nur die Zunge, sondern auch die Gedanken.

Nach Motiven musste ich im Haindklar nicht suchen, man wird dort förmlich erschlagen vom Anblick dieser brachialen Natur. Ich stand dort morgens und abends vor dem Panorama der umliegenden Berge, immer wieder aufs Neue überwältigt. Das Licht änderte sich ständig und die Felswände schienen je nach Tageszeit näher oder weiter wegzurücken. Weitere geniale Motive waren nur ein paar Schritte von meiner Hütte entfernt. Ich stieg zum Beispiel fast täglich abends die 15 Minuten zur Gsengscharte auf, um den Sonnenuntergang zu bewundern. Hier war also das prachtvolle Naturerlebnis direkt vor meiner Nase, ganz im Gegenteil zur Hüpflinger Alm, wo ich das Gefühl hatte, es wären immer ein bis zwei Stunden Fußmarsch im Regen zwischen mir und dem, was ich vor die Kamera bekommen wollte (was natürlich mit einen Vorstellungen und Erwartungen zu tun hatte, ich merkte bald, dass natürlich auch dort genug Spannendes direkt vor meiner Nase lag).

Ein besonderer Wunsch meinerseits war es diese Zeit auch zu nutzen um mich mit der Astrofotografie zu beschäftigen. In der ersten Woche gab es eine einzige sternenklare Nacht, das war am Tag 1 und wir dachten uns: Es wird noch genug schöne Nächte geben, jetzt erst mal ankommen und entspannen. Tja, Irrtum. Die zweite Woche startete ähnlich, es gab eine tolle erste Nacht, die ich mit einem Freund am Lagerfeuer verbrachte. Allerdings war die Luft nicht ganz klar, es zogen dann Wolken auf und: der abnehmende Mond ging gleich nach Sonnenuntergang auf. Das gab spannende Bedingungen, aber keine perfekten für Astrofotos (vor allem für Deep Sky Objekte wie Galaxien). Und dann schien es fast als würden auch die anderen Nächte mir keine Chance bieten, bis auf den letzten Abend: es klarte komplett auf (und wurde eiskalt). Da packte ich nun endlich meine Sachen – Stativ, Nachführung, 11-16mm Weitwinkel und 70-300mm Zoomobjektiv und legte mich mitten im Haindlkar auf die Lauer. Nach einer Stunde war ich durchgefroren, trotz 5 Schichten Kleidung, aber ein leichter Wind zog mir die förmlich die Wärme aus dem Leib. Als ich ans Lagerfeuer zurückkehrte, musste ich unweigerlich an jene armen Seelen denken, die bei Schlechtwettereinbrüchen gezwungen waren irgendwo in einer Felswand zu übernachten. (Ich hatte zuvor ein Büchlein der Bergrettung mit Berichten von Unfalleinsätzen gelesen – beinharte Lektüre!)

Ich darf an dieser Stelle erwähnen: Ich bin kein erfahrener Alpinist, ich wandere gern auf Berge (ich habe so eine innere Stimme, die verlangt mindestens einmal pro Jahr auf einem Berg gewesen zu sein), aber ich klettere nicht und schon gar nicht allein. Von den wahren Abenteuern in der Hochtorgruppe mit ihren Klettersteigen habe ich vorerst die Finger gelassen. Ich war am Einstieg zum Peternpfad und wusste: Das lass ich jetzt lieber sein. Dort oben in den Felsen warten natürlich noch eine Menge grandioser Motive, aber für ein erstes Eintauchen und Kennenlernen ins Haindlkar und das Gesäuse generell, reichten meine Unternehmungen allemal.

Ich habe im Gesäuse etwas gesucht und ich habe auch etwas gefunden. Ich betrachtete das Medienstipendium als Chance meine Langzeitleidenschaft wiederzuentdecken, zu vertiefen und die berufliche Routine, die sich beim Fotografieren eingestellt hatte, abzuschütteln. Gleichzeitig war ich auf der Suche nach einem Naturerlebnis, nach Einsamkeit, nach Ruhe und Stille. Auch das habe ich zur Genüge gefunden und ich vermisse es auch heute noch, zwei Monate nach meiner Rückkehr.

Die Bilder dieses Abenteuers haben mich nun laufend wieder zurückkatapultiert an diese wunderbaren Orte. Ich wollte mir bewusst Zeit lassen mit der Nachbearbeitung, es genießen, nichts erzwingen und auch in diesem Bereich an meinem Stil feilen. Ich habe mich ein wenig von den knalligen Farben der Werbefotos und Imagefotos, die ich sonst beruflich mache, verabschiedet. Ich entschied mich für einen matteren, warmen aber entsättigten Stil und bin auch sehr glücklich mit dieser technischen Entwicklung, die mir dieses Projekt ermöglichte.

Das Medienstipendium hat für mich auch speziell die Liebe zur Fotografie neu erweckt. Ich beschäftige mich wieder viel bewusster mit dem Fotografieren und möchte auch beruflich in diesem Bereich vermehrt arbeiten (mein Brotberuf ist nach wie vor die Gebrauchsgrafik). Ich bin sehr froh über diese Chance, über die gemachten Erfahrungen und über das, was sie ins Rollen gebracht haben. Nun hoffe ich natürlich dass auch der Nationalpark noch einen Nutzen von meinem Aufenthalt hat. Danke für diese großartige Möglichkeit und besonders auch für die herzliche Betreuung unserer Ansprechperson Andreas Hollinger vom Nationalpark Gesäuse!

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